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2025 06 • nevera gewittersturm

detailierter bericht zum sturm mit 60kn wind am 16.06.25, den wir in der nördl. ankerbucht von rovinj abgewettert haben.

der bericht wurde fast 1:1 (mit zusätzlichen erklärungen und info-links) in der online-ausgabe des yacht-magazins veröffentlicht, hier der link:
https://www.yacht.de/special/seenot/sturm-in-kroatien-augenzeugenbericht-60-knoten-vor-anker-abgewettert/


60kn Nevera vor Anker in Rovinj


Wir waren auf einem kurzen einwöchigen Törn von Umag aus entlang der Küste Istriens (siehe vorheriger Logbuch-Eintrag) mit einem kurzen Abstecher über die Kvarner Bucht zur Insel Unije.
Wir hatten 2 Gäste mit an Bord, die am 16.6. retour in Rovinj sein mussten, wir selbst wollten dann noch gemütlich weitere 2 Tage zurück nach Umag in unsere Marina segeln.

In den Wettermodellen (ECMWF, ICON) deutete sich schon einige Tage ein hoher CAPE Wert und damit für Montag eine hohe Gewitterwahrscheinlichkeit für ganz Istrien ab. 
Allgemein wurde eine mittlere Bora angekündigt. Der Kroatische Wetterdienst gab die gelbe Warnung (1te von 3 Stufen) für die istrische Küste aus.
Ursprünglich war unser Plan, am Montag für die Gewitter sicher an einer Boje in Rovinj festzumachen.
Am Montag hatten wir unsere Windy-App (Premium Version) mehrmals im Blick, um die Modelle zu vergleichen.
Von allen Modellen war ICON-D2 das Einzige, das die Möglichkeit von extremen Winden vorhersagte, bei jeder Aktualisierung allerdings mit unterschiedlicher Stärke, Richtung und über fast die gesamte Küste Istriens bis über die Kvarner Bucht verteilt.

Kurz überlegten wir, ob wir es schaffen könnten, noch nördlich oder südlich auszuweichen. Die Ankündigung war jedoch zu großräumig und so war relativ schnell klar, dass das zu riskant wird, wenn die ICON-D2 Vorhersage recht behält.
Also ging unser Fokus auf Vorbereitung:
Unsere Gäste setzten wir sicher mit dem Dinghy an Land ab, wir beide spielten im Anschluß die verschiedenen Strategien durch.
Trügerisch war, dass es zu dem Zeitpunkt noch ein wunderschöner Badenachmittag war – außer im ICON-D2 Modell war von dem Chaos, das später hereinbrechen sollte, nichts zu ahnen.

Badewetter am Nachmittag

Wir hofften natürlich, dass die Vorhersage des ECMWF Modells recht behält und sich die Windgeschwindigkeit bei max. 30kn bewegen wird. Trotzdem gingen wir ab ca. 16:00 Uhr vom Worst-Case aus dem ICON-D2 Modell aus.

Die Frage war dann:
ACI-Marina in Rovinj, Bojenfeld in der Bucht südl. der Altstadt oder vor Anker in der Bucht nördl. der Altstadt.

Aufgrund der westlichen auflandigen Winde hatten wir bei dem Gedanken an Marina und Boje kein gutes Gefühl.
Von vorherigen Aufenthalten wussten wir, dass die Nordbucht grundsätzlich guten Ankergrund bietet und dort vermutlich auch nicht viel los sein wird, wir also Platz haben werden. An normalen Tagen ist hier das Problem eher der unangenehme Schwell, der Anker hat hier immer auf den ersten Versuch sehr gut gehalten.

Die Entscheidung fiel dann aus folgenden Gründen für den Anker:

  • Mehr Dämpfung an der Ankerkette im Vergleich zum kurzen Festmacher an der Boje.
  • Im Vergleich zum auflandig gelegenen Bojenfeld mehr freier Raum und weniger andere Yachten, falls bei uns oder Anderen etwas schief gehen sollte.
  • Vertrauen ins eigene Setup anstelle in fremde Bojen.

Wir haben einen 15kg Rocna Anker und 55m Kette und damit bei ca. 9m Wassertiefe geankert, die vollen 55m wurden gesteckt. 
Nach der Berechnung mit der „Anchor Chain Calculator“ App sollte das System in unserem Fall um die 60kn halten können. In dem Moment wagte ich mir nicht vorzustellen, dass wir genau diese 60kn später ganz real testen würden.

Den Anker fuhren wir mit maximaler Motorleistung bereits auf westliche Winde ausgerichtet ein, also fast 180 Grad (und sozusagen in falscher Richtung) zum zu dieser Zeit noch vorherrschenden NE Wind.
Zur Markierung haben wir unsere Grippy Ankerboje gesetzt. Neben dem Ankeralarm auf dem iPhone haben wir die Ankerposition auch am Plotter markiert.
Gesichert wurde das Ganze mit einer Ankerkralle, als 2tes Backup dahinter noch ein Dyneema Softschäkel durch die Kette mit Hahnepot aus einer Festmacherleine auf beide Klampen.

Neben uns war ein Kreuzfahrtschiff vor Anker, hinter uns kam ca. 30min vor dem Unwetter noch eine Charter-Crew in die Bucht, die aber bei dem noch herrschenden Wind aus NE relativ weit in den östlichen Teil der Bucht beim Campingplatz ankerte.
Wir hatten wie erhofft Platz zum schwoien und etwas Puffer für evtl. Abdrift. 

Wir machten alles am Boot sturmsicher, alles wurde festgezurrt, doppelt gecheckt, unnötiges unter Deck verstaut – so harrten wir der Dinge, die da kommen werden, das live Wetter-Radar und die Prognose im iPhone ständig im Blick.
Der Wind schlug kurz vor der Front um auf W und hinter der kleinen Landzunge, an der wir lagen, zeichnete sich eine dunkle Walze am Himmel ab.

die Walze nähert sich – es geht los

Kurz darauf war in der Ferne schon fliegendes Wasser zu sehen.
Beim nächsten mal Hinsehen war das nahe Kreuzfahrtschiff in Gischt gehüllt. Dann verschwand auch die Altstadt von Rovinj, nur der Kirchturm oben auf dem Hügel war noch zu erahnen, alles Andere nur eine Wand aus weißer Gischt.

die Nevera schlägt zu
auf dem letzten Bild kann man (am linken Rand) das Licht des abtreibenden Kreuzfahrers gerade noch so erahnen
auch der Kirchturm von Rovinj war in der meterhohen Gischt nur noch eine Kontur

Für uns bedeutete das Motor starten (so wie immer bei Gewitter) und Schwimmwesten anlegen!
Mit der ersten Böenwalze drückte es uns sozusagen von 0 auf 100 mit extremer Krängung auf die Seite. Unsere Anzeige endet bei 35 Grad, daher gibt es hier keinen genauen Wert, aber die Fußleiste war definitiv im Wasser und wir waren nur damit beschäftigt, uns irgendwie an Bord zu halten.

In kürzester Zeit bauten sich hohe Wellen auf, die uns in Kombination mit den heftigen Böen wild von einer auf die andere Seite legten.
Ernestine keilte sich in der Nische des Niedergangs ein, ich war hinten am Steuer und versuchte, mit Motorunterstützung dagegenzuhalten um das Ankergesxhirr zu entlasten. 
Dieses Gegenanfahren mit dem Motor klingt in der Theorie deutlich einfacher, als es dann in der Praxis war: überfährt man die Kette, drückt der Wind das Schiff mit dem Bug sofort seitlich weg und man liegt quer zum Wind, die nächste Böe hat dann die volle Längsseite als Angriffsfläche. Außerdem kann man in dem Getöse nicht mehr beurteilen, wie es dem in unserem Fall nur 27PS starken alten Yanmar-Motor bei der Aktion geht, denn man hört durch den heulenden Wind und den sintflutartigen Regen, der auf einen einprasselt, nicht einmal mehr, ob er überhaupt noch läuft.
Nach etwas Eingrooven und weniger hektischen Motorschüben, zu denen man am Anfang automatisch neigt, konnte ich das Schiff einigermaßen stabilisieren und im Wind halten, dazu mit jeder Welle im Wechsel Ruder hart backbord und Ruder hart steuerbord – Sport am Steuerstand, der in Kombi mit der Nässe und plötzlichen Kälte ordentlich Energie kostete.

Wir haben einen Regenschutz, den wir bei Schlechtwetter zwischen Sprayhood und Bimini zippen können. Das erzeugt zwar etwas mehr Windwiderstand, brachte aber definitiv Schutz vor dem massiven Regen, der mit den 110km/h Wind auf uns geschleudert wurde. Da das Wasser von allen Seiten kam, war trotzdem schnell alles nass, aber es war nicht ganz so schmerzhaft im Gesicht. Ungeschützt müsste man zumindest eine Klarsichtbrille tragen, sonst wäre das vorallem in den Augen nicht lange auszuhalten.

Sehr hilfreich war, dass unsere Ankerposition am Plotter markiert war und die Schiffsposition als Track mitlief. So konnte ich gut einschätzen, wo der Anker relativ zu uns liegt und ob wir evtl. abtreiben, was zum Glück nicht der Fall war.
Optische Orientierung zum Land hatten wir durch die massive Gischt in den ersten Minuten absolut keine – das Display des Plotters war da die einzige Referenz.

Screeshot vom Plotter (nach der Nevera wieder bei NE-Wind) – der rote Track zeigt unsere Bewegungen am Anker

Apropos abtreiben – das Kreuzfahrtschiff war mehrere 100m Richtung Stadtpier versetzt, als wir es bei der ersten leichten Beruhigung der Lage wieder (jetzt plötzlich schräg hinter uns) sehen konnten.

Die Phase mit den 60kn Wind, die unser Windgeber am Masttop anzeigte, dauerte ca. 15min.
Leider hatten wir keine GoPro montiert, und für’s iPhone hatten wir in dem Moment wirklich keine Hände frei.
Nach ca. 15min war das Schlimmste überstanden. Insgesamt beruhigte sich die Lage dann nach 3h gegen 22:00 Uhr, die Welle blieb noch etwas länger stehen, der Wind drehte wieder auf NE. Wind gegen Welle war dann kurz nochmal eine Herausforderung am Steuerstand, um das Querliegen zu den Wellen und das damit nochmal heftige Rollen etwas zu kontrollieren.
Gegen 23:00 Uhr konnten wir unter Deck gehen und sogar relativ gut schlafen. Der Ankeralarm blieb die ganze Nacht stumm.
Ungefähr um 5:00 Uhr kam dann eine mittlere Bora mit ca. 25kn, die sich im Vergleich aber wie ein Wellness-Urlaub anfühlte.

Später konnten wir nachlesen: genau so sieht eine klassische Nevera aus.

Bestandsaufnahme am nächsten Morgen:

Die Kollegen auf der Charteryacht hinter uns haben es geschafft, nicht zu stranden – allen Respekt dafür, so auflandig, wie sie geankert hatten, die Segel mussten aber etwas leiden, so wie’s ausgesehen hat.

Der Bretterhaufen hinter der Yacht war tagsüber noch ein nettes Massagehäuschen.

In der nahen Werft an Land wurde eine aufgeständerte Segelyacht umgeworfen, Mastbruch inklusive.
Im Bojenfeld sind mehrere Yachten gestrandet.
Ob es in der Marina auch Yachtschäden gab, wissen wir nicht. 

Am Campingplatz direkt in unserer Bucht wurden Bäume entwurzelt, und es gab leider eine lebensgefährlich verletzte Person, die unter einem Baum eingeklemmt wurde.

In Rovinj war die ganze Nacht Ausnahmezustand, überall Blaulicht. Rettungswagen fuhren in alle Richtungen. Schon in der Nacht konnte man dann überall Kettensägen hören, mit deren Hilfe umgestürzte Bäume und Äste kleingesägt und zur Seite geräumt wurden. 

Wir haben dieses Unwetter völlig unbeschadet überstanden und sind sehr stolz auf unsere doch schon 27Jahre alte Namaste, die uns sicher vor den Naturgewalten beschützt hat.
Lediglich die Ankerkralle mussten wir Neptun opfern, da ist die Leine gerissen.
Das BackUp mit dem Softschäkel und der Festmacherleine war hier unsere Rettung, da die Winsch die Kräfte vermutlich nicht gehalten hätte, genauso wohl auch nicht die Sicherungsleine, die wir am Ende unserer Ankerkette haben. Dann wäre das ein ganz anderes Szenario geworden.

gerissene Leine der Ankerkralle

Dyneema Softschäkel – das rettende Backup

Fazit:

I)
Die Vorbereitung auf den Worst-Case hat sich ausgezahlt. 
Alles was man vorher erledigt hat, ist Gold wert, denn in der Situation geht es so schnell so wild zu, dass man nicht mehr viel ausrichten kann. Die auftretenden Kräfte sind massiv und schwer zu beschreiben. 
Während den 60kn Wind und der Welle, in der das Boot wie ein Spielball hin-und hergerissen wurde, ist man schon im Cockpit beschäftigt, nicht von Bord zu gehen. Hier auf’s Vorschiff zu müssen und da dann noch etwas sinnvolles ausrichten zu wollen, halte ich für sehr gefährlich und auch fast unrealistisch. Selbst als ansich sportlicher Mensch und eingepickt (wir haben entprechende Strecktaue an Bord) würde ich das nur als allerletztes Mittel in Betracht ziehen wollen.

II)
Ruhe bewahren.
Im Sturm selbst waren wir beide sehr klar, hatten nie das Gefühl, dass wir es nicht schaffen könnten. 
Wir vertrauten auf das Schiff und auf uns, waren untereinander ein sehr gutes Team mit klarer Kommunikation und Aufgabenverteilung.
Erst als der Spuk vorbei war, haben wir gemerkt, wie aufgekratzt wir vom Adrenalin waren.

III)
Es war eine Situation am Limit, bei der Kleinigkeiten ein Desaster auslösen hätten können.
Gleichzeitig war es eine unglaubliche Erfahrung, die das Vertrauen in unser Schiff enorm gestärkt aber auch unseren Respekt vor der Natur neu bestätigt hat.

Manöverkritik – was wir nächstes Mal anders machen würden:

  • Älteren Leinen (in unserem Fall die der Ankerkralle) nicht mehr blind vertrauen und sie frühzeitig ersetzen. Ohne das Backup mit dem Dyneema-Schäkel hätte es für uns ganz anders ausgehen können.
  • Auch wenn es direkt vor dem Gewitter noch schwüle 28 Grad hat und man eigentlich schon in T-Shirt und Badehose schwitzt, am Besten noch vorher das Ölzeug anziehen. Es geht dann alles wahnsinnig schnell und in der Hochphase war kein Drandenken mehr, sich eine Jacke, geschweigedenn eine Ölzeughose, anzuziehen – mit dem Resultat, dass man durch Nässe, Wind und Temperatursturz schnell auskühlt und unnötig Energie verbraucht.
    Ebenso werden wir bei Gewitterlagen in Zukunft Klarsichtbrillen greifbar im Cockpit haben. Der Regen, der ins Gesicht peitscht, ist nicht zu unterschätzen.
  • GoPro mit stabiler Befestigung anbringen und filmen. Es war für uns nicht möglich, sich als kleine Crew in dem Moment noch damit zu beschäftigen. Nachher fällt es aber schwer, das erlebte annähernd authentisch zu beschreiben oder zu vermitteln – da wären bewegte Bilder sehr hilfreich.
    Auch für das De-Briefing wäre es interessant, eine Art durchgehende Dokumentation in Form eines Videos zu haben.

Grundsätzlich waren wir gut vorbereitet und sind dankbar, dass wir es zusammen mit unserer Namaste so gut überstanden haben.

Allen, die zu Schaden gekommen sind, wünschen wir auf diesem Weg das Beste, vor allem den Verletzten eine schnelle und vollständige Genesung.